Die 33. Anwältinnenkonferenz in München war eine Reise wert!

Ein Bericht aus dem Newsletter von Christine Olderdissen

Die erste Rechtsanwältin Deutschlands wäre am 7. Dezember 2022 bereits 130 Jahre alt gewesen. Mit einem Festakt ehrte die ARGE Anwältinnen zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV) und dem Münchner Anwaltverein e.V. sowie zahlreichen Gästen an diesem Tag jene Frau, die so hartnäckig ihre Zulassung erstritten hatte. Genau vor 100 Jahren, am 7.12.1922, erhielt Dr. Maria Otto vom Bayrischen Staatsministerium der Justiz ihre Zulassungsurkunde. Sie praktizierte als Anwältin bis zu ihrem 85. Lebensjahr in München. Es hätte Maria Otto sicherlich mit Stolz erfüllt zu erfahren, welch brillante juristische Karrieren Frauen heute möglich sind. Beim Festabend im Münchener Künstlerhaus am Lenbachplatz hätte sie Rechtsanwältinnen, Juraprofessorinnen und Kammergerichtspräsidentinnen treffen können und auch Kolleginnen, die der DAV mit dem nach ihr benannten Maria-Otto-Preis ausgezeichnet hat.

RAin Petra Heinicke, 1. Vorsitzende des Münchener Anwaltvereins, hielt zur Begrüßung eine launige Ansprache. DAV-Hauptgeschäftsführerin Sylvia Ruge lobte in Vertretung der Präsidentin des DAV, Edith Kindermann, Beharrlichkeit und Durchhaltewillen der allerersten Rechtsanwältin. RAin Christina Dillenburg bedankte sich als Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses in ihrer Rede beim Münchener Anwaltverein und dem DAV dafür, dass diese die Initiative der ARGE Anwältinnen für den Festabend so großzügig unterstützt haben. Prof. Dr. Angelika Nußberger würdigte in ihrer Festrede den Werdegang der tatkräftigen, wenn auch eher stillen Vorreiterin aller heute tätigen Rechtsanwältinnen und verwies auf die Leistungen von Olympe de Gouges, Eleanor Roosevelt und Ruth Bader Ginsburg. Georg Eisenreich, bayerischer Justizminister, ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, trotz seines vollen Terminkalenders, ein Grußwort zu sprechen. Für kurzweilige wie stimmungsvolle Atmosphäre sorgte das Odeon Tanzorchester mit seiner Sängerin Julia von Miller, das das Publikum musikalisch auf eine Zeitreise in die 1920er und 30er Jahre mitnahm. Einhelliges Fazit des gelungenen Festabends: „Maria Otto ist für uns Vorbild und Verpflichtung“.

Am nächsten Tag startete die 33. Anwältinnenkonferenz (8./9.12.2023) im Justizpalast München. RAin Christina Dillenburg, Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses, begrüßte die 50 Teilnehmerinnen zur zweitägigen Veranstaltung im Sitzungssaal des prächtigen Justizpalastes.

„Das wichtigste Recht ist, Rechte zu haben“. Diese Weisheit der großen Philosophin Hannah Arendt ist das Motto der Ulmer Rechtsanwältin Maria Kalin. Sie entschuldigte sich als Erstes für den heftigen Stoff, den sie zum Konferenzauftakt vorstellte. Maria Kalin hat sich auf Migrationsrecht spezialisiert, ein Rechtsgebiet, das großes Engagement erfordere und finanziell nicht viel einbringe. Der Mental Load, die Befassung mit dem schweren Schicksal von Menschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind, sei sehr groß. Wegen angeblicher Erfolglosigkeit werde auch „fast keine“ Prozesskostenhilfe gewährt, obwohl 40 % der Asylverfahren vor Gericht gewonnen würden. Sie beklagte, dass in den Verfahren oft nicht zur Sprache komme, dass viele Frauen auf der Flucht sexueller Gewalt, Ausbeutung und sogar Zwangsprostitution ausgesetzt sind. Erst seit dem Krieg in der Ukraine entstünden spezielle Angebote für die zahlreich geflüchteten Frauen. Die gut vernetzte Anwältin, die auch im DAV-Gesetzgebungsausschuss für Migrationsrecht tätig ist, berichtete von emotional aufreibenden Themen wie Menschenhandel und Beschneidung (FGM). Und sie verwehrte sich gegen den Vorwurf, die Rechtsvertretung von Geflüchteten sei eine „Anti-Abschiebe-Industrie“.

Die anschließende Podiumsdiskussion erweiterte den Blick auf die Herausforderungen, denen Rechtsanwältinnen bei der Ausübung des Berufs vor allem international ausgesetzt sind. Moderiert wurde das hochinformative Panel von der Journalistin Annette Wilmes. Die Istanbuler RAin Hürrem Sönmez gehört zu einem Team von Rechtsanwälten, die Teilnehmende der Gezi-Proteste 2013 unter großen Schwierigkeiten vertritt. 2022 wurde die Filmemacherin Cigdem Mater zu 18 Jahren Haft verurteilt, Sönmez ist für sie in Berufung gegangen. Die bosnische Anwältin und Richterin Jasmina Prpić berichtete von ihrer Erfahrung mit deutschen Behörden, die nach ihrer Flucht 1992 nur ein Semester ihres Jurastudiums anerkannten. Prpić, die in Freiburg als Rechtsbeistand und Dolmetscherin arbeitet, gründete 2007 mit Juristinnen verschiedener Herkunftsländer den Verein Anwältinnen ohne Grenzen. 2013 wurde sie vom DAV mit dem Maria-Otto-Preis geehrt, wie auch Margarete Gräfin von Galen, die Preisträgerin des Jahres 2022. Zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Stefan von Raumer berichtete von Galen über die vielfältige Arbeit des Menschenrechtsausschuss im DAV. Wie Hürrem Sönmez sind Anwälte und Anwältinnen weltweit bedroht oder werden strafrechtlich verfolgt. Zu ihrer Unterstützung wird seit 2009 am 24. Januar der Tag des bedrohten Anwalts abgehalten.

Nach der Mittagspause berichtete RAin Josephine Ballon von ihrer Arbeit für Hate Aid, eine gemeinnützige Organisation, die sich gegen digitale Gewalt auf gesellschaftlicher und politischer Ebene engagiert. Ihr Motto: „Menschenrecht gilt auch digital“. 54 % der Internetnutzenden trauen sich nicht mehr, ihre politische Meinung im Internet zu sagen. Damit erreichen die, die hasserfüllte Kommentare unter Social Media Posts setzen, ihr Ziel: Silencing genannt, das Mundtotmachen politischer Andersdenkender, erklärte Josephine Ballon. Frauen werden anders als Männer mit sexualisierten Gewaltdrohungen angegriffen, die Strafverfolgungsbehörden nehmen Anzeigen nicht ernst. Hate Aid bietet Information, Beratung und Unterstützung. Dass es sich lohnt, sich zur Wehr zu setzen, zeigt der Fall von Renate Künast. Die Grünenpolitikerin reichte mit Unterstützung von Hate Aid Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte ein. Ihr Gang nach Karlsruhe hatte Erfolg.

Eindrucksvoll war auch die Präsentation von RAin Lucy Chebout zu ihrer strategischen Prozessführung anlässlich bestehender Grundrechtsverletzungen im Abstammungsrecht. Ein Wunschkind, das in eine lesbische Ehe geboren wird, hat den rechtlichen Nachteil, dass seine nichtleibliche Mutter erst nach einem langwierigen Adoptionsverfahren die üblichen Elternrechte erhält. Die leibliche Mutter gilt trotz Ehe als alleinerziehend. In heterosexuellen Ehen dagegen wird der mit der Mutter verheiratete Mann automatisch als Vater anerkannt, selbst wenn er biologisch nichts mit der Zeugung zu tun hat. Auf die Genetik komme es im Abstammungsrecht nicht an, erklärte die Berliner Anwältin (Kanzlei Raue). Dies ist ihr Ansatzpunkt für mittlerweile sechs Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht: „Es liegt ein ganzer Blumenstrauß an Grundrechtsverletzungen vor“. Der erste Fall war 2020 die Familie Akkermann, den Lucy Chebout mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte nach Karlsruhe brachte. Im Zuge der breiten Berichterstattung entstand dann aus einer Krabbelgruppe lesbischer Eltern die Initiative #Nodoption. Deren hohe Klagebereitschaft ermöglichte es am gleichen Tag bundesweit 12 Verfahren in unterschiedlichen Konstellationen vor Gericht zu bringen – mal sind die Kinder mit anonymen Samenspenden, mal durch einen Freund gezeugt worden. Neben verheirateten Paaren sind unverheiratete wie auch trans und nicht-binäre Eltern, sowie eine Person ohne Geschlechtseintrag unter den Kläger*innen. Die Reaktionen der Gerichte reichten von ahnungslos: „Dem Antrag fehlt das Feststellungsinteresse. Gehen Sie zum Standesamt“, bis bizarr:“ Rechtlich kann ich Ihnen nicht helfen. Seien Sie doch froh, dass Sie sich haben.“ Vier Gerichte allerdings haben die Problematik der Sukzessivadoption erkannt, die Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG zur Normenkontrolle vorgelegt. (KG Berlin vom 24.3.2021, 3 UF 1122/20; OLG Celle vom gleichen Tag, 21 UF 146/20; AG Brandenburg vom 27.9.2021, 41 F 132/21 und AG München vom 11.11.2021 542 F 6701/21.) Momentan ist vieles in der Schwebe, denn auch der Gesetzgeber hat eine Reform des Abstammungsrechts angekündigt. Wer wartet auf wen? Und wann findet sich auf der Seite des Gesetzes eine gute Lösung, die der Vielfalt aller Familien gerecht wird?

Am Freitagmorgen fand die ordentliche Mitgliederversammlung der ARGE Anwältinnen im DAV statt. Zwei Mitglieder wurden neu in den Geschäftsführenden Ausschuss gewählt: Irene Voerste und Sonja Neitzel. Sie lösen Lisa Schopp und Karoline Fritz ab, die mit großem Dank für ihre ehrenamtliche Tätigkeit verabschiedet wurden. Die geschäftsführenden Mitglieder Christina Dillenburg, Ulrike Silbermann, Ursula Gudernatsch, Alexandra Noeth sowie Berit Jaeger wurden wiedergewählt. In der anschließenden konstituierenden Sitzung wurden die Posten der Vorsitzenden, der stellvertretenden Vorsitzenden sowie der Schatzmeisterin gewählt, die an die bisherigen Inhaberinnen Christina Dillenburg, Ulrike Silbermann sowie Ursula Gudernatsch gingen.

Gestärkt vom Weißwurst-Frühstück (mit vegetarischer Alternative) ging es zur Mittagszeit um die Frage: „Im Schriftsatz gendern?“ Wer will, kann Gendersternchen setzen, muss aber auf negative Reaktionen gefasst sein, so das Fazit des Vortrags von Genderexpertin Christine Olderdissen. Bei gerichtsfesten Texten, wie zum Beispiel Anträgen, sei von Genderzeichen abzuraten. Die Juristin und Journalistin präsentierte drei Gutachten, die sich mit geschlechtergerechter Sprache im Recht befassen. Genderneutrale Schreibmethoden reduzieren eine mögliche Genderzeichen-Flut, so ihr Tipp. Sie beantwortete viele Fragen zum Gendern und machte am Ende zur Übung ein Sprachquiz: Alle gemeinsam sollten maskuline Sätze sternchenfrei umformulieren. Nach so vielen Informationen kamen die richtigen Lösungen prompt. Eine Liste mit Links zu vielen interessanten Texten, den drei Rechtsgutachten und zum hilfreichen Handbuch der Rechtsförmlichkeiten ist als PDF downloadbar.

„Eine Kanzleiwebsite muss in 3 bis 5 Sekunden von sich überzeugen“, verriet RAin Pia Löffler im sechsten und letzten Vortrag der Anwältinnenkonferenz. Unstrukturierte Textwüsten und ein überladener Onlineauftritt schrecke ab, warnte sie. Die Münchener Rechtsanwältin hat sich auf Anwaltsmarketing spezialisiert und hatte viele Beispiele von gelungenen und weniger gut gemachten Webseiten mitgebracht. Sie gab zu bedenken, schon im Alltag werde am Aussehen von Frauen viel herumgemäkelt. Erst recht treffe sie der kritische Blick von Menschen, die im Internet nach einer Anwältin suchen: Kleidung und Körpersprache – alles wird interpretiert. Pia Löffler gab den Tipp: Die Fotos für die Website müssen sehr sorgfältig gestaltet werden, damit die gewünschte Botschaft ankommt: „Ich bin eine tatkräftige Anwältin und setze erfolgreich Ihre Interessen durch“.

„Wir sehen uns wieder beim Deutschen Anwaltstag im Juni!“ So verabschiedete RAin Christina Dillenburg die Teilnehmerinnen und verkündete zugleich den Termin für die 35. Anwältinnenkonferenz: 7. bis 9. September 2023 in Köln.