„Et bliev nix wie es wor“ – Schönes Motto in Kölscher Mundart für unsere Herbsttagung. Das Kölsch war übrigens bis zum 19. Jahrhundert Umgangssprache in Köln. Selbst gerichtliche Plädoyers sind im Dialekt überliefert, weiß die Wikipedia, damals noch ausschließlich durch Männer. Jetzt aber sind wir Frauen dran. Wer unserem kölschen Lockruf gefolgt war, mag sich an das gelungene Herbstreffen der ARGE Anwältinnen im DAV vom 7.- bis 9. September gern zurückerinnern.

Los ging es mit einer Stadtführung durch den Kölner Frauengeschichtsverein unter dem Aspekt Frauen und Geld. Bereits im Spätmittelalter genossen Frauen in Köln Bürgerrechte, als erste Stadt im Reich. Sie gründeten auch erfolgreiche Frauenzünfte, erfuhren wir beim Rundgang durch die Altstadt. Nach diesem stimmungsvollen Auftakt ging es zum Get-Together im Brauhaus „Zum Pfaffen“, ein lauschiger Ort zum Ausklang des sommerlich heißen Tages. Zu der launig-netten Runde kamen immer mehr Kolleginnen hinzu, voll Freude über das Wiedersehen.

Am Freitagmorgen trafen wir uns zur Anwältinnentagung in den attraktiven Räumlichkeiten des Komed im Kölner Mediapark. RAin Angela Ludwig vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte in NRW machte uns mit ihrem Vortrag „Gut abgesichert in die Rente?“ deutlich, dass wir uns auch schon in jungen Jahren mit der Absicherung fürs Alter beschäftigen sollten. Wer von Beginn an die Stellschrauben in die richtige Position bringt, ist besser abgesichert. Zu beachten ist, dass sich die berufsständischen Versorgungseinrichtungen in ihren Bedingungen und Leistungen von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
ARGE-Vorsitzende RAin Christina Dillenburg wird übrigens in einem Artikel für die ZAP, mit Erscheinungsdatum 25.10., wichtige Fragen zur Rente selbständiger Rechtsanwält*innen beleuchten. Falls Sie es noch nicht wussten: Bereits ab 60 Jahren könnten Anwält*innen Rente erhalten. Wobei Weiterarbeiten und Weitereinzahlen möglich sind; die Zulassung muss auch bei Rentenbezug nicht zurückgegeben werden.

Der zweite Vortrag betraf „Die Freiheit der Kunst“. RAin Dr. Nathalie Mahmoudi aus Köln ist Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz mit Branchenfokus auf Kunst und Medien, Mode und Musik. Mit vielen anschaulichen Beispielsfällen, auch mit Bezug zu Köln, stellte sie das grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen den Kunstschaffenden, ihren Kunstwerken und deren Standorten sowie den Erwerbenden der Kunst dar. Es wurde deutlich, wie schwierig es ist, Kunst zu definieren. Kunst darf nicht grenzenlos alles und muss gegen Übergriffe geschützt werden.

RAin Nina Ahrend, ebenfalls aus Köln, informierte uns anschließend über „Neues Betreuungsrecht“. Sie konzentriert sich ausschließlich auf dieses Rechtsgebiet und ist auch als Verfahrenspflegerin tätig. Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuuungsrechts zum 1.1.2023 gab es den Paradigmenwechsel vom „Wohl des Betroffenen“ zur Beachtung des „Wunsches des Betroffenen“. In ihrem Vortrag stellte Nina Ahrend Fälle vor, die die Tücken der neuen Regelung klarmachen: Wie lässt sich der „freie Wille“ ermitteln? Liegt beispielsweise eine Vorsorgevollmacht vor, kann das Gericht keine Betreuung anordnen. Noch ein Tipp aus ihrer Praxis: Banken weigern sich in der Regel, eine Bevollmächtigung anzuerkennen, wenn diese nicht ausdrücklich mit ihnen vereinbart wurde. Hilfreich ist dann oft die anwaltliche Aufforderung, diese Ablehnung schriftlich zu begründen unter In-Aussicht-Stellen möglicher Schadensersatzforderungen.

Nach dem Mittagessen ging es weiter mit „Deutsch-spanisches und deutsch-italienisches Erbrecht – Rechtsbeziehungen und Rechtsvergleich“. Kommt es bei Immobilienbesitz im Ausland zum Erbfall, gilt der dringende Rat, sich Anwält*innen mit Spezialkenntnissen im jeweiligen Landesrecht zu suchen. Die Unterschiede können gravierend sein, erläuterten RAin Constanze Guardia-Sellke, die von Düsseldorf aus in Deutschland und Spanien arbeitet, und Paola della Campa, Rechtsanwältin in Mailand, mit Zulassung für Deutschland. Prof. Dr. Sybille Neumann von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, informierte sodann über den „Immobilienkauf in Frankreich“.

Nach so viel juristischem Input begann die Stimmtrainerin Ute Bries nach der Kaffeepause mit Lockerungsübungen für „Starke Stimme – starker Auftritt“. Wer stets mit der Stimme oben bleibt, redet sich womöglich „um Kopf und Kragen“ und findet nicht den Punkt wieder aufzuhören. Öfter mal mit der Stimme runtergehen, Luft holen, und sich fokussieren: Das war ihr praktischer Ansatz für alle Teilnehmerinnen dieses so faktenreichen Konferenztages.

Ein wahres „Highlight“ folgte beim Festessen: Der fantastische Ausblick im Restaurant Osman im 30. Stock reicht bis zum Bergischen Land und nach Düsseldorf. Die Kölner Stadträtin Derya Karadag, Syndicusanwältin der HDI-Lebensversicherungs AG und Vorstand in der Rechtsanwaltskammer Köln, begrüßte die angereisten RAinnen. Vom lauen Lüftchen auf der Dachterrasse umweht, ging dann auch schon bald stimmungsvoll die Sonne unter.

Am Samstagmorgen folgte die Mitgliederversammlung des Vereins der ARGE Anwältinnen im DAV, Neuwahlen standen keine an. Das Protokoll geht allen Vereinsmitgliedern gesondert zu.

Der Schlussvortrag zur „Arbeitszeiterfassung in der Kanzlei“ kam von RAin Dr. Clarissa Freundorfer, Berlin, und RAin Dr. Nathalie Oberthür, Köln. Nach den Urteilen von EuGH und BAG und dem Entwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist bei den Angestellten einer Anwaltspraxis auf die strikte Einhaltung der Arbeitszeiten zu achten. Es lässt sich berufsrechtlich argumentieren, dass in dringenden Fällen länger gearbeitet werden darf, wenn es sich um bestehende Mandate handelt, nicht aber bei neuen Mandaten. Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin machte seinerseits deutlich, dass die Überschreitung der Arbeitszeiten eine Gefahr für die mentale und körperliche Gesundheit darstellen kann: Wer ständig viel zu lang arbeitet, riskiert den Burn Out. Der Körper braucht Zeit, sich zu regenerieren. Ruhezeiten von 11 Stunden pro Tag sind das Minimum.

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Im Laufe der 35. Anwältinnenkonferenz konnten neue Regionalgruppensprecherinnen gewonnen werden. Wir begrüßen in unserer Runde RAin Dr. Nathalie Mahmoudi, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz, als Regionalbeauftragte Köln,und RAin Simone Jordan aus Meerbusch, spezialisiert u.a. auf Seminare zum Arbeitsrecht, als Regionalbeauftragte Düsseldorf.

Neu vom Vorstand des DAV entsandtes Mitglied ist RAin Clarissa Freundorfer. Sie folgt auf RAin Petra Heinicke, die 12 Jahre lang im Vorstand des DAV war. Dr. Clarissa Freundorfer, LL.M., ist seit 2005 Rechtsanwältin, zunächst in einer großen deutschen Wirtschaftskanzlei und seit 2010 Syndikusrechtsanwältin in der Rechtsabteilung der Deutsche Bahn AG. Ihre fachlichen Schwerpunkte liegen im Eisenbahnrecht, Gesellschaftsrecht und im anwaltlichen Berufsrecht. Sie ist seit Juni 2023 Mitglied im Vorstand des DAV.

Zum 1.10.2023 ist die Strafzumessungsvorschrift des § 46 StGB geändert worden. Menschenverachtende Beweggründe und Ziele sind nach Absatz 2 besonders zu berücksichtigen, beispielhaft genannt werden rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Beweggründe und Ziele. In diese Liste wurden nunmehr ausdrücklich auch „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive aufgenommen. Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte dazu: „In unserem Land sollen sich alle sicher fühlen – egal wer sie sind, wen sie lieben oder wie sie leben. Der Rechtsstaat muss deshalb entschlossen handeln, wenn Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts angegriffen werden. Das Strafrecht muss auf solche Taten eine klare Antwort geben.“

„Die selbsternannte Väterrechtsbewegung geht bei Sorgerechtsprozessen teils rabiat vor“,

berichtet die Frauenzeitschrift Brigitte und interviewt dazu die Investigativreporterin Gabriela Keller: „Wie groß ist ihr Einfluss auf Justiz und Politik?“ Keller hat für das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV zunächst zum Thema Fußballerfrauen und gewaltvolle Trennungen von Bundesligaprofis recherchiert. Darüber hat sie mit weiteren Journalist*innen einen intensiven Einblick in den Ablauf von Familienrechtsentscheidungen gewonnen und festgestellt, es kommt auffällig oft zu Entscheidungen, die Mütter krass benachteiligen. „Es gibt Familiengerichte, an denen ist der Umgang mit häuslicher Gewalt vorbildlich. Anderswo mangelt es aber teils an grundlegendem Fachwissen – das sagen viele Rechtsexpert*innen“, berichtet Gabriela Keller: „Es gibt eine organisierte Lobby, eben die ‚Väterrechtler‘, die Einfluss auf Richter*innen und Verfahrungsbeistände zu haben scheinen.“ Für CORRECTIV berichtet sie über „Väterrechtler auf dem Vormarsch“: wie die Netzwerke funktionieren, auf Politik und Justiz Einfluss nehmen und den Gewaltschutz von Frauen und Kindern untergraben.

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Im Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung hatte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Bundespressekonferenz am 28.8.2023 zu der Behauptung verstiegen, Alleinerziehende würden immer weniger erwerbs-arbeiten. Prompt meldeten sich Alleinerziehendenverbände und forderten eine Korrektur der Aussage. In einem gemeinsamen offenen Brief an Bundesfamilienministerin Lisa Paus wiesen sie darauf hin, dass 77 Prozent der Alleinerziehenden einen mittleren oder hohen Bildungsabschluss hätten, die allermeisten gingen einer Erwerbsarbeit nach, mehr als ein Drittel sogar in Vollzeit: „Daten unter anderem des Statistischen Bundesamtes belegen, dass insbesondere alleinerziehende Mütter nicht nur bedeutend mehr erwerbsarbeiten als Mütter in Paarbeziehungen: Ihre Erwerbsbeteiligung ist in den vergangenen Jahren auch deutlich gestiegen“.

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Zu jung! Zu alt! Zu mittelalt! Frauen in Führungspositionen haben offenbar nie das richtige Alter für die Karriere, so das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie, wozu 913 weibliche Führungskräfte befragt wurden. „Never-right Age Bias“ nennen die Autorinnen das Phänomen, über die der Harvard Business Manager berichtet. Was die Frauen stets zu hören bekamen: Den jungen fehle es an Erfahrung. Frauen im mittleren Alter wären durch familiäre Verpflichtungen und die bevorstehenden Wechseljahre zu sehr belastet. Frauen über 50 wurde vorgeworfen, sie seien „nicht besonders gut gealtert“ oder „nicht vital genug“. Eine 60-jährige Anwältin beklagte sich über die ständige Forderung, ihre Kompetenz zu belegen: „Ich bin es leid, mich immer wieder vor anderen beweisen zu müssen.“ Das Fazit von Studienleiterin Amy Diehl: Manche Vorgesetzte oder Kollegen nähmen jedes Alter zum Vorwand, um Frauen zu stigmatisieren und zu behaupten, dass sie nicht genug Wertschätzung erführen oder nicht für eine Führungsrolle geeignet seien.

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit hat sich Zeit ihres Lebens für Frauenrechte starkgemacht. Im Alter von 90 Jahren ist sie am 2. September 2023 in Berlin verstorben. In einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk (zum Hören oder auch verschriftlicht zum Nachlesen) blickte die Juristin und Rechtspolitikerin im Februar 2020 auf die vielen Wendungen ihres Lebens zurück. Drei Jahrzehnte lang arbeitete Peschel-Gutzeit als Familienrichterin in Hamburg und wurde 1984 erste Senatspräsidentin am Hanseatischen Oberlandesgericht. Von 1977 bis 1981 war Peschel-Gutzeit Vorsitzende des djb. Von 1991 bis 2001 amtierte sie für die SPD als Senatorin für Justiz, zuerst in Hamburg, dann in Berlin und wieder in Hamburg. In dieser Zeit beförderte die Frauenrechtlerin, die sich selbst nicht als Feministin bezeichnen wollte, bevorzugt Frauen. Nach 2002 arbeitete die Ex-Senatorin als Rechtsanwältin, obwohl sie längst im Rentenalter war. 2016 wurde Peschel-Gutzeit mit dem Ehrenzeichen der deutschen Anwaltschaft vom DAV für ihre besonderen Verdienste geehrt. Die Expertin für Familienrecht prägte auch ein Stück Rechtsgeschichte, wie die LTO in ihrer Würdigung berichtet: Als „Lex Peschel“ trat 1968 ein Gesetz in Kraft, das es Beamtinnen ermöglichte, aus familiären Gründen Teilzeit zu arbeiten, ohne aus ihrer Berufstätigkeit auszuscheiden. Zu dieser Zeit war sie nach ihrer Scheidung selbst alleinerziehende Mutter von drei Kindern, blieb aber in Vollzeit als Richterin tätig. 2019 gründete sie eine Familienrechtskanzlei am Berliner Ku’damm, wo sie noch am Tag vor ihrem Tod an ihrem Schreibtisch saß, berichtet Alice Schwarzer in ihrem Nachruf in der EMMA. Seit der legendären Klage gegen den STERN wegen dessen sexistischer Titelbilder war sie mit Peschel-Gutzeit befreundet. Alice Schwarzer schreibt: „Natürlich war es der damaligen Richterin klar, dass wir diese Klage gar nicht gewinnen konnten – denn es gab ja kein Gesetz, das sexistische Bilder unter Strafe stellte. Wir konnten den Prozess also nur moralisch gewinnen – was wir dann auch getan haben“.

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Der Deutsche Juristinnenbund hat seit dem 16.9.2023 einen neuen Vorstand. Nach dem Ende der Amtszeit von Prof. Dr. Maria Wersig steht nun wieder eine Rechtsanwältin als Präsidentin dem djb vor: Ursula Matthiesen-Kreuder aus Bad Homburg. RAin Lucy Chebout aus Berlin wurde zur Vizepräsidentin des djb gewählt. Bei unserer 33. Anwältinnenkonferenz im Dezember 2022 in München hatte Chebout eindrucksvoll von ihrer strategischen Prozessführung für lesbische Eltern berichtet. Die Grundrechtsverletzungen im Abstammungsrecht liegen in sechs Verfahren dem Bundesverfassungsgericht als Verfassungsbeschwerden vor. Wir gratulieren dem neugewählten djb-Vorstand.

Die LTO hat ein interessantes Thema aufgriffen: „Die Arbeit als Rechtsjournalist – Übersetzer für die Gesellschaft“. Vanessa Meilin Rolke, Rechtsreferendarin am OLG Nürnberg-Fürth, hatte während ihres Jurastudiums ein Praktikum in der Rechtsredaktion des ZDF in Mainz absolviert. Ihre Erfahrungen hat sie nun ganz praktisch in einem Text niedergeschrieben, der die verschiedenen Möglichkeiten in Radio oder Fernsehen, in Zeitungen und Fachzeitschriften journalistisch mit juristischer Fachkompetenz zu arbeiten, inklusive Voraussetzungen und Verdienstmöglichkeiten aufzeigt. „Die Verbindung von Recht und Politik ist besonders in Deutschland wichtig. Als juristisch ausgebildeter Journalist kann ich etwas beitragen, was in der normalen politischen Berichterstattung fehlt“, erklärte ihr beispielsweise Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent.

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Einen Wettbewerb für junge Jurist*innen hat der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) ausgelobt: Menschenrechtseinsatz für bedrohte Anwält*innen. Beim Amicus Curiae Contest soll ein fiktiver Schriftsatz verfasst werden, der eine bedrohte Anwältin oder einen bedrohten Anwalt unterstützt. Der beste Schriftsatz wird feierlich bei einer CCBE-Plenarsitzung im Mai 2023 in Lausanne/Schweiz prämiert. Teilnehmen können Studierende der Rechtwissenschaft sowie Referendar*innen. Abgabefrist ist der 30.11.2023. Weitersagen!

Das Buch „Die stille Gewalt“ der Berliner RAin Asha Hedayati macht momentan Schlagzeilen: nd-aktuell, Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Der SPIEGEL u.v.m. Das ist gut so. Die Familienrechtsanwältin vertritt seit 10 Jahren schwerpunktmäßig gewaltbetroffene Frauen in Trennungs-, Scheidungs-, und Gewaltschutzverfahren. Mindestens jede vierte Frau erlebt einmal im Leben Gewalt in der Partnerschaft. „Es heißt dann: sie hätten Eheprobleme oder private Konflikte“, schreibt Asha Hedayati. „Der Betroffenen wird die Verantwortung gegeben, dass sie in einer Gewaltbeziehung gelandet ist.“ Die Anwältin erkennt hinter den persönlichen Schicksalen das Versagen staatlicher Institutionen. Sie zeigt auf, wie Polizei, Jugendämter und Familiengerichte Frauen alleinlassen: „Im Zweifel für den prügelnden Mann“. Auf den ersten Seiten beschreibt sie Macht und Kontrolle durch psychische und sexualisierte Gewalt, aber auch wie Regelungen zum Ehegattensplitting, Unterhaltsrecht sowie das System der unbezahlten Carearbeit die Ungleichheit zementieren: „Der Staat versagt darin, Frauen vor Gewalt zu schützen – weil er von ihrer unbezahlten Arbeit profitiert“.  Auch auf Twitter berichtet Hedayati regelmäßig von krassen Fehlentscheidungen durch Familiengerichte, die Partnerschaftsgewalt nicht ernstnehmen. Die Gewalt selbst ist laut, sagt sie. „Was still ist, sind diese unsichtbaren Normen, Mythen und patriarchalen Strukturen“.
Zum Nachhören auf rbb-Kultur: RAinnen Asha Hedayati und Christina Clemm im Gespräch.
Die stille Gewalt, Wie der Staat Frauen alleinlässt, Asha Hedayati, Rowohlt, 192 Seiten, 18,- €

 

Am Anfang einer ungewöhnlichen Liebeserklärung für eine Mutter steht der Sturz der 76-jährigen in ihrem Wohnzimmer. 34 Jahre lang hat die Mutter der Ich-Erzählerin in einem alleinstehenden Haus mit der merkwürdigen Adresse „Am Schießplatz“ gewohnt. Die fünfköpfige Familie war dort im Emsland glücklich. Der Ehemann starb nach langer Krankheit, die Kinder verließen als junge Erwachsene das Nest. Die Mutter, die „laute Anke, die immer zu viel redete“, blieb alleine zurück. Bis der Moment kam, wo auch sie nach diesem Sturz ausziehen musste. Karen-Susan Fessel begleitet als Tochter den Prozess, den viele aus eigener Erfahrung kennen, wenn die Eltern alt geworden sind. In ihrem dokumentarischen Roman „Mutter zieht aus“ erzählt die Schriftstellerin die Familiengeschichte, die in Breslau begann, in einer wohlhabenden Arztfamilie mit sieben Kindern. Die kriegsbedingte Flucht über Lodz und Lübeck hinterließ traumatische Spuren in den Seelen. Doch dann begann der Wiederaufbau, und über die Verstrickungen mit den Nazis wollte niemand mehr reden.

Mutter zieht aus, Karen-Susan Fessel, Konkursbuch Verlag, 256 Seiten, 14,90 €

 

Interessante Termine
5.10.2023, online „Diskriminierungssensible Sprache: Fragen, verstehen, anwenden!“ Online-Workshop der Heinrich-Boell-Stiftung mit Diversitytrainer Aşkin-Hayat Doğan
5.10.2023, Workshop „Her mit dem Raum!“ 5-teilige Workshopreihe der Heinrich-Boell-Stiftung, mit verbindlicher Anmeldung
10.10.2023, Leipzig „(Un-)vergessen. Die friedliche Revolution und die Rolle der Frau“, Diskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Ulrike Poppe und Dr. Jessica Bock
12.10.2023, Schwerin „Wir hätten uns alles gesagt“, Lesung und Gespräch mit der Autorin Judith Herrmann, Heinrich-Boell-Stiftung
13.10.2023 online Zum Umgang mit Konflikten im ehrenamtlichen und politischen Engagement, Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung via Zoom für Frauen
13.10.2023, Hannover „Haltung zeigen! Argumentieren gegen antifeministische Äußerungen“, Seminar der Heinrich-Boell-Stiftung mit den Trainer*innen Methu Thavarasa und Melani Klarić
17.10.2023, Essen
19.10.2023, Frankfurt
Buchvorstellung und Lesung „Die stille Gewalt“, von Asha Hedayati
17.10.2023, Chemnitz „Ich bin nun ganz verzweifelt“, Schwangerschaftsabbruch in Sachsen 1945 -1972, Vortrag, Heinrich-Boell-Stiftung
19.10.2023, Berlin „Finanzierung von Familien neu denken: Kindergrundsicherung“, Vortrag Lisa Yashodhara Haller,  veranstaltet von der Heinrich-Boell-Stiftung
Keine Veranstaltungen im Oktober geplant

Der Deutsche Anwalt­verein fordert, die von der EU geplante Einführung der Chatkontrolle abzulehnen. Der DAV hat sich einem Offenen Brief der Bürger­rechts­or­ga­ni­sation European Digital Rights (EDRi) angeschlossen. Darin fordern zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft die Regierungen der EU-Mitglieds­staaten auf, der Chatkon­trolle eine Absage zu erteilen. Rechtsanwalt Dr. David Albrecht, Mitglied im Ausschuss Gefahren­ab­wehrrecht des DAV, erklärte dazu in der Pressemitteilung vom 13.9.2023: „Das Recht auf Privat­sphäre, die freie Meinungsäußerung und die Unschulds­ver­mutung sind wesentliche Kernwerte der Europäischen Union. Sie alle werden durch den Entwurf in seiner jetzigen Form gefährdet“. Die Chatkon­trolle sei ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen: „Schon heute findet ein Großteil der Kommuni­kation, die die Chatkon­trolle identi­fi­zieren soll, im unkontrol­lierten Darknet statt.“ Durch die Maßnahme würde die Verlagerung der illegalen Aktivitäten in diesen Raum verstärkt. Gleich­zeitig stelle man alle unbescholtenen Nutzer*innen von Mail-, Messenger- und Hosting-Diensten unter General­verdacht.